Einmal Istanbul und zurück oder ganz viele Kilometer ohne Gangschaltung und Freilauf...


Der Abend vor der Abreise nach Mailand. Der Gepäckträger ist montiert, jetzt fehlt nur noch das Gepäck...

Warum?

Warum eine Radtour?

"Warum überhaupt eine Radtour?" Diese Frage lässt sich eigentlich ziemlich kurz beantworten: Es macht mir halt riesigen Spass. 
Ich bin ein leidenschaftlicher Fahrradfahrer und fahre am Liebsten so oft und so weit wie möglich. Radfahren ist ein wichtiger Bestandteil meines Lebens. Angefangen hat alles mit der Idee, einmal mit dem Fahrrad von Bern nach Stuttgart zu fahren. In den Frühlingsferien 2002 wurde diese Idee (damals noch mit meinem Vater) dann bei Schnee und Regen umgesetzt. Seitdem ist meine Begeisterung fürs Velofahren stetig gewachsen – es folgten unzählige Touren, einige auch im Winter bei Schnee und Eis. Weil ich immer weniger Zeit für mehrtägige Touren hatte, wechselte ich im Sommer 2008 vom Tourenrad aufs Rennrad. 2009 fuhr ich mein erstes Rennen. Seitdem suche ich beim Radfahren vor allem eine körperliche Herausforderung, sei es an 24 Stundenrennen, Radmarathons oder einfach einer Alpentour...
Um in Form zu bleiben, aber vor allem um etwas sinnvolles in meinen Semesterferien zu machen, startete ich im Januar von Genf aus eine Radtour in Richtung Gibraltar. In Nerja im Süden Spaniens kehrte ich dann schliesslich um und fuhr wieder nach Genf zurück. Insgesamt machte ich auf dieser Tour ungefähr 4100 km mit meinem Rennrad. Dabei hatte ich nur einen Rucksack gefüllt mit dem nötigsten, was nicht sehr viel war, da ich in Hotels übernachtete. Und da es nicht besonders kalt war, brauche ich auch keine Unmengen an warmen Kleidungsstücken mitzunehmen. Ich hatte wirklich verdammtes Glück mit dem Wetter.
Dieses Jahr musste nach der Fahrt nach Spanien noch etwas spektakuläreres folgen. Da die Hotel-Übernachtungen auf der Spanientour doch etwas arg teuer gewesen waren, wollte ich diesmal draussen übernachten. Das Ziel, nämlich Istanbul, war schnell gewählt. Nach Spanien war ich schon ein Mal gefahren, und sonst kam mir kein spannender Ort in den Sinn, der meine Kriterien für solch eine Reise erfüllte. Um nicht zu frieren wollte ich in den Süden, gleichzeitig durfte das Ziel natürlich nicht zu nah, aber doch erreichbar sein.

Warum mit einem Fixie?

Diese Frage kann ich eigentlich nicht wirklich beantworten. Ich gehöre ganz sicher nicht zu denjenigen, die eine Rückbesinnung auf die vielleicht ursprünglichste Form des Radfahrens ohne Schaltung und ohne Freilauf predigen. Schlussendlich ist es aber eines der günstigsten brauchbaren Fahrräder. Ich bevorzuge lieber keine Schaltung, als eine, die nicht richtig funktioniert. Zudem ist es wartumsarm und nicht kaputt zu kriegen. Natürlich hätte ich mir auch einfach ein teures, dafür gutes Tourenrad kaufen können. Doch ich bevorzuge Rennräder, eine aufrechte, auch als bequem bezeichnete Haltung auf dem Rad gibt mir das Gefühl langsam zu sein. Ich hingegen möchte schnell sein und soweit wie möglich vorankommen; nur ein Rennrad vermittelt mir diesen Vorwärtsdrang. Ich hätte natürlich auch mit einem Rennrad fahren können. Genau das war eigentlich auch geplant: Ich wollte nach den Prüfungen im Januar bis Ende Februar etwas arbeiten und Geld verdienen und Anfang März sollte es dann losgehen. Mit dem Rad nach Istanbul hin und soweit wie möglich zurück, den Rest dann mit dem Zug. Anfang April wollte ich dann wieder zuhause sein. 
Während der Spanientour im Januar und Februar hatte ich immer gutes Wetter. Während zwei Nächten übernachtete ich sogar draussen. Ohne Schlafsack fühlte sich das etwas unangenehm kühl an. Ich hatte absichtlich den Monat März für die Tour nach Istanbul gewählt. Ich rechnete damit, dass es dann ganz sicher warm genug sein würde, um mit einem Biwaksack und einem dünnen Schlafsack unter freiem Himmel zu übernachten. Eine aufblasbare Matte, eine Regenhose, Socken und Unterwäsche, ein kleiner Schlafsack und ein Biwaksack. Wenn ich mich auf das nötigste beschränke, passt das alles in meinen Rucksack und ist auch nicht allzu schwer. Da ich es nicht nicht als unbequem empfinde einen Rucksack während der Fahrt zu tragen, hätte ich also gut mit meinem Rennrad gehen können. Zur Not hätte ich halt einfach einen kleinen Gepäckträger an der Sattelstütze befestigt, wenn der Schlafsack zu viel Platz eingenommen hätte...
Doch es kam natürlich ganz anders. Und das ging so:
Mein schnelles Rennrad hatte durch einen Auffahrunfall einen Riss im Lenkkopf bekommen. Als ich das Rad nach dem Sturz untersuchte, entdeckte ich jedenfalls etwas, was nach einem Riss aussah. Ein Radhändler sagte zu mir, dass ich es höchstwahrscheinlich weiter zum Trainieren verwenden könne, für Rennen würde er es mir aber nicht empfehlen. Ich sollte halt immer den Riss im Auge behalten und nach einem Ersatz Umschau halten. Da ich nur ein Fahrrad hatte, trainierte ich auf diesem weiter. Ich vertraute aber dem Rahmen nicht mehr, ein Versagen des Lenkkopfes hätte ziemlich böse enden können. Ich brauchte also ein neues Fahrrad. Es sollte wieder ein Rennrad sein, doch ich brauchte auch ein zweites Rad für in die Stadt. Neben Fahrten zum Bahnhof und zur Uni wollte ich es vor allem zum Training auf meiner neuen "freien Rolle" verwenden. Da ich auf einer solchen nicht viel mit einer Schaltung anfangen kann, bestellte ich ein Bahnrad. Weil es gerade Vorweihnachtszeit war und sich die Fahrradhersteller in günstigen Preisen unterboten, bestellte ich auch noch grad bei Canyon ein günstiges, aber doch sehr gutes Rahmenset, um mit den alten Teilen eine neue Rennmaschine aufzubauen. Einige Zeit später wurde mir dann mitgeteilt, dass das Bahnrad nicht mehr lieferbar sei und mir wurde der Kaufpreis zurückerstattet. Räder dieses Herstellers waren von dem Versender bei dem ich es bestellt hatte aus dem Sortiment genommen worden. Während das Projekt Bahnrad an dem Versenders scheiterte, missglückte der Kauf des Rahmensets ebenfalls, weil ich vergass mein Paket in Deutschland abzuholen. Eine direkte Lieferung in die Schweiz war aus markenrechtlichen Gründen nicht möglich gewesen. Als ich mich im Januar nach meinen Prüfungen wieder für Fahrräder zu interessieren begann, waren die Preise für Rahmensets wieder gestiegen, ich spielte mit dem Gedanken, mein altes Rennrad für die Tour zu nehmen. Nach 20 000 gemeinsamen Kilometern fand ich es angebracht noch einmal eine Abschiedsrunde zu drehen. Also bestellte ich nur ein Bahnrad, das Rahmenset konnte warten. Kurz bevor plötzlich der Winter mit sibirischer Kälte begann, brachte mir dann die Post das ersehnte Paket.
Während ich für etwas mehr als eine Woche in Biel arbeiteten konnte, fuhr ich einmal um zu schauen, wie das so ging mit dem gerade aus dem Karton geholten Rad an einem Sonntag die 30 Km lange Strecke von Bern nach Biel und wieder zurück. Das ging ohne Gangschaltung und Freilauf ziemlich gut. Am nächsten Tag fuhr ich dann morgens damit zur Arbeit und am Abend wieder zurück, wenn es bei der Rückfahrt nicht fürchterlich geregnet hätte, wäre ich wohl auch am nächsten Tag wieder gefahren, so hatte ich aber kurz mal keine Lust aufs Rad zu steigen. Was mich überraschte war, dass ich fast so schnell wie mit einem Rad mit Schaltung fahren konnte. Ich war, dafür dass es Winter war, noch ziemlich gut in Form. Ich hatte vor den Prüfungen Anfang Januar öfters mal mit meinem alten Rad auf der "freien Rolle" trainiert, und da mir ein Radhändler versichert hatte, dass ich mit dem Rad noch gut fahren könne, nur für Rennen wäre ist nicht mehr zu empfehlen, in den Semesterferien auch auf den winterlichen Strassen. 180 Km waren mit Schaltung gut möglich, eher sogar etwas mehr, aber ich wollte ja auch noch ausschlafen können.
Dann kam der Winter... Wohl auch aufgrund der ausserordentlichen Kälte wurde es für mein sonst so vorbildliches Temporärbüro unmöglich, mich, den Studenten, als Hilfskraft im Baugewerbe zu vermitteln. Statt Geld verdienen und reicher werden, hiess es nun Zwangsferien. Da mir dies rechtzeitig mitgeteilt wurde, beschloss ich meine Tour vorzuverlegen. Da es verdammt kalt war, kaufte ich mir einen sehr warmen Schlafsack. Dieser war nur sehr gross und auch die anderen warmen Sachen brauchten Platz. Schon bald wurde klar, dass es ohne einen richtigen Gepäckträger und ohne richtige Taschen nicht gehen würde. Also doch nicht mit dem alten Rennrad. Was ich jetzt brauchte war ein Tourenrad, doch zum Glück hatte ich mir ja ein Fixie gekauft. Der Rahmen hatte zwar keine Ösen für Gepäckträger, doch bei einer derart schweren und entsprechend robusten Konstruktion konnte ich auch einen Gepäckträger an den Sitzstreben befestigen. Das Gepäck war also kein Problem, zudem mochte ich die aggressive Sitzposition, die dem Wind möglichst wenig Angriffsfläche bot. Ich hatte also das perfekte Rad, es hatte leider keine Gangschaltung und keinen Freilauf. Jetzt packte mich der Ehrgeiz. Ich wollte zeigen, dass man auf einem Fixie auch richtig fahren kann, also weiter als nur bis zum nächsten Bahnhof. Früher, vor der Erfindung der Gangschaltung, wurden schliesslich auf solchen Rädern Rennen gewonnen, und wenn die damals ein Rennen oder eine Tour mit einem solchen Rad fahren konnten, sollte das ja heute auch noch gehen.
  Meine Fahrten von Bern nach Biel hatten mir aber gezeigt, dass dies gar nicht so schlimm war. Es galt jetzt bei -10° Grad herauszufinden, ob das auch für längere Distanzen galt. Um nicht meine Lunge zu schädigen, trug ich schon den ganzen Winter eine oder sogar zwei Sturmhauben übereinnander. An den Fingern fror ich auch nicht, weil ich unter den warmen Winterhandschuhen noch ein zweites Paar dünne Handschuhe trug, die schnell trockneten und auch dafür sorgten, dass die dicken Handschuhe nicht nassgeschwitzt wurden. Doch der beste Schutz gegen die Kälte war meine neue Motorradjacke. Ich hatte sie mir extra fürs Radfahren gekauft. Trotz des sibirischen Winters konnte ich unter ihr nur ein langes Unterhemd tragen und ich hatte es warm. Das dicke Material schützte mich sensationell vor dem Fahrtwind. Genau so hatte ich mir das vorgestellt als ich sie mir kaufte. Sie übertraf alles mir bisher bekannte, keine meiner anderen Jacken konnte mit ihr mithalten. Auf meiner Fahrt nach Istanbul nahm ich sogar noch das Futter raus und trotzdem war ein Unterhemd darunter völlig ausreichend solange ich mich bewegte. Dann war es aber auch nicht mehr -10° Grad sondern zwischen -3° und 0° Grad
Doch nun zurück zum Versuch, ob längere Distanzen mit dem Fixie machbar sind. Ich beschloss, eine Zweitagestour ohne Gepäck zu machen. Ich fuhr zunächst von Bern über Zofingen nach Luzern. Das sind ungefähr 110 Km. Dort übernachtete ich bei einem Kollegen und fuhr dann am nächsten Tag über Zug und am verschneiten Walensee entlang nach Sargans. Es war so kalt, dass mireine Flasche mit Eistee, die ich in der Jackentasche hatte, innerhalb von einer halben Stunde fast einfror. Doch das Fahren selbst durch den Schnee ging ziemlich gut. Jetzt gab es nichts mehr, das mich aufhalten konnte. Das stimmt jetzt zwar nicht ganz, weil es gab dann da noch die Post und eine Städtereise durch Norditalien (aber mit dem Zug) war ja auch noch geplant. Jedenfalls gab es keine mentalen Hindernisse mehr. Die Route war auch schon geplant. Von Venedig der Küste entlang nach Bari, von dort mit dem Schiff nach Igoumenitsa und dann durch die Berge in Griechenland nach Istanbul. Für die Rückfahrt wollte ich die gleiche Route nehmen, nur halt von Venedig nach Bern. Es ging dann aber über Bulgarien, Serbien, Ungarn, Österreich, Deutschland und Liechtenstein zurück in die Schweiz...
Anfang bis Mitte Februar verbrachte ich mit Radfahren bei bis zu -15° Grad und mit Einkaufen für die Tour. Ausser dem Schlafsack brauche ich aber eigentlich nur noch einen Biwaksack und eine aufblasbare Matte. Ein Paar Schuhe kaufte ich mir dann aber auch noch und eine Unterhose mit Sitzeinlage als Ersatz für meine langsam auseinanderfallende Radhose. Statt Radfahrerhosen trage ich Kletterhosen, die halten wie meine Jacke auch bei Stürzen. Was mich noch an der Abreise hindert ist nicht die Kälte, sondern dass ich noch Umziehen musste...
Am Sonntag, den 13. Februar, bin ich dann für meine kleine Städtereise um 11 Uhr in Mailand verabredet. Geplant war mit dem Zug am Sonntag ins Tessin und dann nach Mailand mit dem Fahrrad. Ich hatte mir jedoch kurz vor meiner Abreise noch eine Kamera bestellt, um die Reise mit Bildern zu dokumentieren. Wie sich leider herausstellte, war die Zustellung etwas komplizierter als erwartet. Die Folge: Anstatt dass ich meine neue Kamera bequem vor die Haustür geliefert bekam, muss ich das gleiche Modell am Montag in Zürich kaufen und die bestellte zurückpfeifen lassen, damit ich nicht noch ewig weiter auf die mehrfach fehlgeschlagene Zustellung warten muss. Wie sich heraustellte die richtige Entscheidung!!! Durch diese Verzögerung änderte sich meine Planung ein bisschen. Es ging am Dienstag morgen mit dem Zug direkt nach Mailand. Nach einer entspannten Zugfahrt ohne umzutsteigen von Bern nach Mailand, wurde das Rad beladen. Im Zug hatte ich noch ein nettes Gespräch mit einem älteren Ehepaar auf dem Weg nach Ligurien, deren Sohn scheinbar zu den ganz aktiven bei Quäldich gehört (http://www.quaeldich.de/ gehört zu meinen meistbesuchtesten Fahrradseiten und deren Kalender hängt bei mir natürlich auch in meinem Zimmer). So habe ich das zumindest verstanden. Wie klein doch manchmal die Welt ist... In Mailand lag die Tiefsttemperatur bei gerade einmal -3° Grad, geradezu warm im Vergleich zur Schweiz...

In Mailand wird das Rad erst einmal richtig beladen...
Mit dem frischbeladenen Rad gehts nun vom Bahnhof quer durch die Stadt zum Mailänder Dom. Ausser diesen wenigen Metern fahren, wird meistens geschoben. Auch wenn das Fahrrad schon dabei ist, bin ich auf einer kleinen Städtereise und nicht auf einer Radtour....


In der Innenstadt fotografiere ich unabsichtlich das Thema meiner Reise...

Aus Langeweile gibts eine Runde schneefahren im Park. Auf dem festgetretenen Schnee laufen meine dünnen Reifen einwandfrei. Die Haftung ist zwar nicht ganz die gleiche wie auf Teer, aber das war ja klar... 

Am Nachmittag ging es dann mit dem Zug weiter nach Verona... Auch wenn die Radtour noch gar nicht nicht angefangen hat  und ich meistens nur geschoben habe, gab es am Abend in Verona das erste Problem. Das Tretlager war nicht richtig montiert und schraubte sich selbstständig raus, bis sich die Kurbel nicht mehr bewegen liess. Hätte ich ein ganz normales Fahrrad wäre das im Moment kein Problem, mein Rad wurde ja sowieso immer nur rumgeschoben. Doch ich bin ja mit einem Fixie unterwegs, auf Grund des fehlenden Freilaufs muss die Kurbel mitdrehen können, sonst geht gar nichts mehr. Für sowas war ich nicht vorbereitet und ich ging am  nächsten Tag mal in den Gassen Veronas auf die Suche nach einem Fahrradhändler. Das war gar nicht so einfach. Der erste Händler war zwar schnell gefunden, hatte jedoch kein Werkzeug fürs Tretlager. Ich wurde also zum nächsten geschickt. Dieser hätte so wie ich das verstand zwar das Werkzeug, aber die Werkstatt sei geschlossen, ich sollte doch bitte am nächsten Tag wiederkommen. Gute Idee, dann bwollte ich aber schon in Venedig sein, die Suche ging also weiter. Beim drittten Händler hatte ich dann endlich Erfolg: Mein Fahrrad ist wieder fahr- bzw. schiebbar!
Am Nachmittag ging es dann mit dem Zug nach Venedig


Jetzt bin ich endlich am Ausgangspunkt meiner Radtour. Ich merke noch rechtzeitig, dass ich viel zu viele warme Kleider dabei habe, insbesondere das Innenfutter meiner Jacke benötige ich nicht. Ich gebe das ganze Zeug also meinem Kollegen, mit dem ich die Städtereise gemachte habe, in die Schweiz zurück...
Doch genug der einleitenden Worte. Die Radtour kann beginnen...

Das vielleicht einzige Fahrrad Venedigs verschönert ein Schaufenster. Aufgrund der engen Gassen und der unbefahrbaren Brücken (Treppenstufen...) über die vielen kleinen Kanäle spielt das Fahrrad in dieser Stadt als Fortbewegungsmittel keine Rolle....